BayPAG-Zettel

Was die Polizei darf und was sie tatsächlich tut, sind oft verschiedene Dinge. Recht haben heißt nicht gleich Recht bekommen. Wir können von den Repressionsbehörden keine Fairness erwarten, weil Willkür gesetzlich verankert ist. Deshalb ist es hilfreich – in Solidarität gegen die sichtbare und unsichtbare Polizeigewalt – die Rechtslage zu kennen. Der Ermittlungsausschuss (EA) ist im Zeitraum 23.6. bis 29.6.2022 für euch da, wenn ihr bei den Protesten gegen den G7-Gipfel Repression mitbekommt und erlebt. Wenn du Gefangennahmen und politische Repression in diesem Kontext beobachtest oder selbst betroffen bist: Ruf den Ermittlungsauschuss an! Lass dich vom EA durch das Gespräch führen und lege erst auf, wenn dieser alle nötigen Infos erhalten hat.

Die folgende Stichpunktsammlung soll zunächst einen Überblick über die rechtliche Rahmenbedingen des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (BayPAG) und des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) geben. Danach wird auf Besonderheiten für Menschen ohne deutschen Pass, ohne Wohnsitz in Deutschland sowie unter-18-Jährige hingewiesen.


Eigentlich steht bei einer (angemeldeten oder spontanen) Versammlung die Versammlungsfreiheit grundsätzlich höher als das Polizeirecht. Die Polizei darf also – außer zur Strafverfolgung – im Zusammenhang mit Versammlungen eigentlich keine präventiven polizeirechtlichen Maßnahmen, wie Platzverweise oder Durchsuchungen durchführen.

1/ Polizeimaßnahmen in Bayern

Identitätsfeststellung:

  • In Bayern ist eine Identitätsfeststellung neben der Strafverfolgung (→ § 163b StPO) auch zur Gefahrenabwehr zulässig (→ Art. 13 BayPAG). Es reicht bereits, wenn ihr euch an Orten aufhaltet, an denen vermeintlich Straftaten vorbereitet werden oder sich vermeintlich Personen verbergen, die wegen Straftaten gesucht werden.
  • Generell gilt, ein Freiheitsentzug kann nur solange andauern, wie der Grund für die polizeiliche Maßnahme gegeben ist, und endet spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen (→ Art. 20 BayPAG), sollte es keine Haftrichter*innenprüfung und keinen richterlichen Beschluss für einen länger andauernden Freiheitsentzug geben.

Platzverweis:

  • Zur Gefahrenabwehr darf die Polizei Personen vorübergehend einen Platzverweis (für ein bestimmtes Gebiet und einen konkreten Zeitraum) erteilen (→ Art. 16 BayPAG).
  • Als milderes Mittel im Vergleich zu Gewahrsamnahme kann dies mündlich oder schriftlich erfolgen. Die Nichtbefolgung eines Platzverweises führt dazu, dass die Polizei dich in Gewahrsam nehmen darf (→ Art. 17 BayPAG).

Durchsuchung:

  • Bei Polizeikontrollen (z.B. an sog. „Kontrollstellen“) will die Polizei z.B. auf der Suche nach gefährlichen oder verbotenen Gegenständen in die Taschen gucken oder dich abtasten.
  • Bei Verdacht auf Straftaten basiert das auf der entsprechenden Ermächtigung in § 102 StPO, aber auch im präventiven Polizeirecht sind Durchsuchungen unter den Voraussetzungen des Art. 21 BayPAG (Durchsuchung von Personen), Art. 22 BayPAG (Durchsuchung von Sachen) bzw. (Betreten und Durchsuchen von Wohnungen) möglich. Art 23 BayPAG

ED-Behandlung:

  • Die ED-Behandlung (Fingerabdrücke, Fotos, Messungen, Köpermerkmale) wird meistens im Zuge einer Ingewahrsamnahme auf Polizeirevieren oder in Gefangenensammelstellen (GeSa) durchgeführt und richtet sich nach Art. 14 BayPAG oder § 81b StPO
  • Die DNA-Entnahme darf nur nach einem richterlichem Beschluss durchgeführt werden. Die Polizei darf das nur, wenn du hilflos und dabei nicht anders zu identifizieren bist (→ Art. 14 (3) BayPAG), du eine schriftliche Einwilligung gegeben hast (die solltest du nie geben, egal, was sie euch androhen) oder wenn sie dir eine schwerere Straftat vorwerfen und auch dann nur mit Gerichtsbeschluss (→ § 81g StPO)

Zwangsmaßnahmen:

  • Mit Schmerzgriffen und Waffeneinsatz – vom Schlagstock bis zum Pfefferspray – übt die Polizei täglich Zwang aus. Die Repressionsbehörden verteidigen die herrschenden Verhältnisse mehr oder weniger offensichtlich gewaltsam mit dem gesetzlichen Auftrag, die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ zu schützen. Dabei darf die best-gepanzerte, bayerische Polizei unmittelbaren Zwang anwenden, wenn andere (mildere) Zwangsmittel nicht in Frage kommen. (→ Art. 17 BayPAG)
  • Da die Willkür der Staatsgewalt rassistischen, patriarchalen und kapitalistischen Verwertungslogiken unterliegt, sind davon nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen.

2. Versammlungsrecht in Bayern

  • Eine Demonstration darf nur unter engen Voraussetzungen von der Polizei aufgelöst werden. Dies geht nur dann, wenn sie »unfriedlich« verläuft oder die Polizei der Meinung ist, dass die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet wird (–> Art. 15 BayVersG)
  • Vermummung auf Demos ist verboten, wenn sie dazu dient, sich gegenüber der Polizei unkenntlich zu machen (→ Art. 16 BayVersG). Aufgrund der Pandemie ist das Tragen von Masken zum Schutz vor Corona mindestens akzeptiert, teilweise verpflichtend.
  • Waffen, sogenannte »Schutzwaffen« oder »Passivbewaffnung« sind verboten (→ Art. 6 und16 BayVersG). Dazu zählen z.T. sogar Taschenmesser, Scheren, Helme, Schwimmbrillen, usw.
  • Ein Verstoß gegen das Vermummungs- oder Passivbewaffnungsverbot ist eine Straftat, die, wenn sie verfolgt wird, meist zu einer Geldstrafe führen kann (→ Art. 20 BayVersG).
  • Ein Verstoß gegen das Uniformierungsverbot liegt vor, wenn durch gleichartige Kleidungsstücke zum Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung eine einschüchternde Wirkung entsteht (–> Art. 7 Nr. 1 BayVersG). Bußgelder (–> Art. 21 BayVersG) in diesem Zusammenhang sind in Bayern zumindest nicht wegen Maler-Anzügen zu erwarten.
  • Laut Versammlungsgesetz müssen Demos 48 Stunden vor der geplanten Bekanntgabe bei der Versammlungsbehörde angemeldet werden (→ Art. 13 BayVersG) (Ausnahmen Eilversammlungen: spätestens bei Bekanntgabe anzumelden; Spontanversammlung: Anzeigepflicht entfällt, wenn Versammlung sich aus einem kurzfristigen Anlass ohne Veranstalter entwickelt)
  • Das Versammlungsgesetz sagt, dass es für Versammlungen eine Leiter*in geben muss, die sich gegenüber der Polizei ausweisen muss. Die Leiter*in ist für die „ordnungsgemäße“ Durchführung der Versammlung verantwortlich (→ Art. 4 BayVersG)
  • Die Leitung einer unangemeldeten Versammlung ist eine Ordnungswidrigkeit (→ Art. 21 BayVersG).
  • Die Teilnahme an einer unangemeldeten Versammlung ist weder Straftat noch Ordnungswidrigkeit.
  • Wenn eine Versammlung von der Polizei aufgelöst wurde (statt von der Versammlungsleitung, (z.B. auch weil Auflagen massenhaft nicht eingehalten werden), müssen sich alle Teilnehmenden entfernen (→ Art. 5 BayVersG). Falls du trotzdem bleibst, kann das als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden (→ Art. 21 BayVersG).

3/ Besonderheiten bei bestimmten Personengruppen

3.1 Ingewahrsamnahme von Menschen ohne deutschen Pass

  • Sag dem Ermittlungsausschuss (EA) welchen Aufenthaltsstatus du hast!
  • Wenn Du das möchtest, muss die Polizei das Konsulat deines Landes zwar informieren, dich aber nicht selbst mit dem Konsulat reden lassen.
  • Bei einigen Ländern wird das Konsulat (ggf. ohne deine Zustimmung) über Strafverfahren informiert.
  • Während des Gewahrsams hast du kein gesetzliches Recht auf Übersetzung (das kann dich natürlich auch als deutsche Person betreffen) – in einem Strafverfahren hingegen schon. Du kannst nicht unbedingt davon ausgehen, dass die Polizei (gut) Englisch oder sonstige Sprachen spricht. Versuche trotzdem eine Übersetzung durchzusetzen.
  • Du solltest in keinem Fall irgendein Schriftstück unterschreiben, das du nicht verstehst. Du bist nicht verpflichtet, irgendetwas zu unterschreiben! Das gilt für alle Leute, aber natürlich nochmals besonders, wenn du gar nicht verstehst, was du unterschreibst.
  • Je nach Herkunftsland können Angehörige möglicherweise bei dem Konsulat deines Landes Auskunft darüber bekommen, ob und wo du eingesperrt bist.

3.2 Strafverfahren für Menschen ohne Wohnsitz in Deutschland

  • Es besteht eine erhöhte Gefahr, dass du ein beschleunigtes Strafverfahren bekommst. Das bedeutet, dass sie dich erstmal in Haft behalten und dir dann recht bald den Prozess machen, z.B. schon am nächsten Tag oder nach einigen Wochen.
  • Für dich gibt es eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass du in Untersuchungshaft genommen wirst.

3.3 Unter 18-Jährige

  • Die Polizei kann „Minderjährige“ (d.h. Kinder (bis 13 Jahre) und Jugendliche (14 bis unter 18 Jahre) in Gewahrsam nehmen (–> 17 Abs. 2 BayPAG).
  • Als „minderjährige“ Person bist Du besonders „schutzbedürftig“ und ein Gewahrsam ist ein schwerer Eingriff in das Erziehungsrecht deiner Erziehungsberechtigten. Deshalb müsste die Polizei bei Kenntnis über dein Alter deine Erziehungsberechtigten oder das Jugendamt informieren und dich ihnen übergeben.
  • Unabhängig von all dem hast Du als „minderjährige“ Person das Recht darauf auf zwei erfolgreiche Anrufe. Ruf also als erstes den EA an!
  • Um es als Minderjährige zu erleichtern freigelassen zu werden, ist es präventiv möglich eine Vollmacht der Erziehungsberechtigten mitzubringen, in der sie einer anderen (volljährigen) Person erlauben, dich im Aktionszeitraum nach einer Fest- oder Ingewahrsamnahme in Empfang zu nehmen und zu betreuen. Mehr Informationen hierzu bei Ende Gelände.