ORGANISIERT EUCH! SOLIDARISIERT EUCH!

Ein kollektiver Umgang mit Repression und ein solidarischer Umgang miteinander sind die Grundlage nachhaltiger politischer Arbeit. Leider beobachten wir als Rote Hilfe e. V. in letzter Zeit immer wieder, wie Grundsätze der Solidarität aus verschiedenen Gründen missachtet werden.

Die Folgen von Alleingängen und die daraus entstehenden Probleme möchten wir in diesem Beitrag kurz darlegen und am Schluss konkrete Handlungsvorschläge geben.

Die Grundprinzipien der Antirepressionsarbeit werden über Bord geworfen
Die Auswirkungen von staatlicher Repression zu minimieren fängt im besten Fall mit der strikten Verweigerung von Aussagen an und endet im besten Falle mit zahlreichen Artikeln in Zeitungen und Magazinen, in denen das Verhalten der Repressionsbehörden öffentlich kritisiert wird. Doch von diesem Ideal sind wir weit entfernt. Anna und Arthur halten nicht konsequent ihren Mund: es werden Aussagen bei den Cops und vor Gericht gemacht, Strafbefehle werden bezahlt, ohne zu bedenken, dass dies als Schuldeingeständnis gewertet wird und Folgen für Andere oder für kommende Repression haben kann. Alleinkämpfer*innen gehen Deals bei Gericht ein, um Einstellungen zu erreichen. In jedem einzelnen (individuellen) Fall müssen wir gemeinsam abwägen was sinnvoll ist. Kollektive Prozessvorbereitung auf persönlicher und politischer Ebene ist für viele ein Fremdwort und Berufungen ohne Absprache über politische und/oder juristische Sinnhaftigkeit binden leider nicht nur Kapazitäten der Repressionsbehörden, sondern auch die der Mitaktivist*innen.

Über Alleinkämpfer*innen und Alleingelassene
Der Kampf gegen Repression kostet viel Kraft. Diese Kraft allein aufzubringen ist unserer Einschätzung nach sehr schwer. Doch genau das ist, was gerade passiert: Betroffene werden mit ihren Ängsten, Fragen und schlussendlich der Repression allein gelassen. Die Rote Hilfe versucht Aktivist*innen und linke politische Bewegung(en) gegen staatliche Repression zu unterstützen, aber es ist eine kollektive Aufgabe, die breiter verteilt werden muss.

Aussagen, unbedacht bezahlte Strafbefehle, das rücksichtslose Verhalten von „Alleinkämpfer*innen“ all das setzt im schlimmsten Fall einen Kreislauf in Gang, der verheerende Folgen für Einzelne und ganze Strukturen haben kann. Wir sprechen hier von massiver psychischer Belastung von Betroffenen (und direktem Umfeld), Entsolidarisierung, Entpolitisierung, der Offenlegung von Strukturen und schlussendlich von Verurteilungen zu Geld- bis hin zu Haftstrafen. Eine Bewegung, in der Solidarität nicht gelebt wird, ist in vielerlei Hinsicht anfällig und bietet Repressionsbehörden Einfallstore.

Zu kritisieren sind die öffentlichen Distanzierungen im Gerichtssaal („werde ich nie mehr tun“, „war falsch“, …) und Entschuldigungen bei allen möglichen Beleidigten. Was soll das für eine politische Haltung sein? Wir sind politische Subjekte und stehen zu unseren Aktionen. Selbstkritik zu diesen hat im Gerichtssaal nichts verloren. Der Versuch, durch Reue, Entschuldigungen, usw. die Repressionsapparate milde zu stimmen ist mindestens apolitisch und naiv. Im schlimmsten Fall ist er gefährlich.

Drei Punkte für organisierten Widerstand
Was ist nun die Lösung? Die gute Nachricht: es ist nix Neues! Es geht darum, sich
wieder an einige Grundlagen zu erinnern und diese in der täglichen politischen Arbeit konsequent umzusetzen.

Organisiert Euch

Grundsätzlich empfehlen wir, dass Ihr Euch intensiv auf Aktionen vorbereitet und Euch
frühzeitig mit Euren Strukturen und Genoss*innen absprecht, wie Ihr kollektiv mit Repression umgehen könnt, welche Eure Ängste sind und wie weit Ihr bereit seid zu gehen. Geht besonnen miteinander und Euch selbst um. Helft Euch gegenseitig bei sichererer Kommunikation (z. B. Verschlüsselung von E-Mails und Festplatten). Teilt Euer Wissen, Eure emotionale Kraft und Eure Erfahrungen – aber bitte keine Gerüchte.

Und vor allem: kümmert euch immer wieder um die neuen/jungen Genoss*innen! Das Wissen um die Repression muss permanent weitergegeben werden. Die Ortsgruppen der Roten Hilfe e. V. oder Ermittlungsausschuss-Strukturen helfen immer gerne mit „Was tun wenn’s brennt“-Einführungen oder anderen Vorträgen. Wenn ihr wollt, auch regelmäßig!

Gemeinsame Verfahrensführung

Kommt es zum Prozess, gibt es in den verschiedenen Phasen (vor, während und danach) verschiedene Aspekte, wo ein solidarischer Umgang miteinander von höchster Bedeutung ist. Unterstützt Euch gegenseitig bei der Vorbereitung auf Prozesse. Das reicht vom „einfach“ füreinander da sein, bis hin zum gemeinsamen Erstellen von politischen Statements oder der Ausarbeitung einer Prozessstrategie. Für viele Betroffene ist die Situation im Gerichtsaal eine Stress- bzw. Belastungssituation.

Gibt es mehrere Angeklagte oder Betroffene ist eine gemeinsame Vorbereitung unbedingt notwendig, um Strategien abzugleichen, Erfahrungen auszutauschen und niemanden zu überfordern. Gerichtsprozesse sollten – wenn Ihr Euch dazu in der Lage fühlt – politisch und offensiv geführt werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass ihr Prozesserklärungen verlesen (lassen) könnt, die in Abgrenzung zu einer Aussage stehen. Diese politische Erklärung betont die politische Dimension der Vorwürfe sowie des Verfahrens und nimmt offensiv und positiv Bezug auf die Aktion und/oder thematisiert politische Verhältnisse. Sie liefert keine Informationen über Strukturen, Aktivist*innen oder individuelles Verhalten. Die Erklärung richtet sich nicht an das Gericht sondern an die Öffentlichkeit und bietet uns eine Möglichkeit, unsere Sicht der Dinge zu äußern. (Verweis – Aussageverweigerung)

Für die Vorbereitung einer offensiven Prozessführung sind Gedächtnisprotokolle von damals hilfreich. Verzichtet beim Verfassen der Protokolle darauf, Namen zu nennen und verwahrt sie an einem sicheren Ort (z. B. ein verschlüsselter Rechner oder bei Eurer Anwält*in) aufbewahrt.

Unter Umständen können Eure Anwält*innen Beweisanträge stellen (natürlich ohne dabei Zeug*innen der vermeintlichen Straftat zu benennen) oder Gutachten anfordern. Tut das aber bitte immer in Zusammenarbeit mit der Roten Hilfe e. V. oder dem örtlichen Ermittlungsausschuss! Schaden entsteht schnell, deshalb sollten wir überlegt und koordiniert handeln.

Begleitet Eure Genoss*innen in den Gerichtssaal und unterstützt damit die Betroffenen und verleiht dem politischen Motiv noch einmal mehr öffentlichen Ausdruck. Außerdem liefern Prozessbeobachtungen interessante Informationen über die Funktionsweise der Justiz und Ihr seid nicht gänzlich unvorbereitet, wenn es Euch einmal betrifft.

Kommt es zu einer Verurteilung, lasst die Leute nicht allein. Organisiert Soliaktionen, um
Gerichtskosten und Strafen zu bezahlen. Besucht Gefangene, schreibt ihnen Briefe,
organisiert Solikreise, damit sie mit den Kosten und der abschreckenden Situation nicht allein stehen.

Macht Euch bemerkbar

Solange die Repressionsorgane ihre Aktivitäten weitgehend ohne das Interesse der Öffentlichkeit durchführen können, wird sich auch kein breiter Widerstand gegen die Verhältnisse regen. Nutzt Eure Blogs und Pressearbeit, um der Öffentlichkeit Eure Version der Geschehnisse zu erzählen und politische Statements abzugeben, organisiert Kundgebungen und Demonstrationen gegen die Repression.

In allen oben genannten Punkten unterstützt Euch die Rote Hilfe: Gebt uns Bescheid, wenn Ihr Repression erlebt habt und kommt in die Sprechstunde (In der Onlineversion Link zur Kontaktseite), wenn Ihr Fragen z. B. zu Prozessstrategien oder -erklärungen habt. Wir organisieren gerne gemeinsame Treffen und bringen Betroffene zusammen. Dabei ist es wichtig, dass Ihr rechtzeitig kommt, damit uns ausreichend Zeit bleibt, gemeinsam an Erklärungen oder Pressemeldungen zu feilen. Regelmäßige Updates sind ebenfalls hilfreich, um fallbezogene Informationen an andere Betroffene weitergeben zu können.

Bei Out of Action bekommen Einzelpersonen und Gruppen emotionale erste Hilfe. Außerdem unterstützt die Struktur Euch dabei, einen solidarischen Umgang miteinander zu entwickeln und besser auf Sorgen und Ängste Eurer Genoss*innen einzugehen.

Grundsätzlich: gebt Euer Wissen und Eure Erfahrung weiter, leistet Aufklärungsarbeit
und werbt Mitglieder für die Rote Hilfe e. V. oder andere Organisationen, die im Bereich
Antirepression tätig sind. Werdet aktiv und sammelt z. B. Geld für die von Repression betroffenen.

Organisiert Widerstand gemeinsam, denn auch wenn die Repressionswellen und die zahlreichen Gesetzesverschärfungen verkünden: „Bleibt daheim und verhaltet Euch konform!“ kann das keine Alternative sein.

Bleibt unbequem!

Eure Rote Hilfe e. V.