Zusatz-Infos zu Personalienfeststellung und Identitätsverweigerung

ID-Verweigerung – Ja oder lieber nicht?

Die Rote Hilfe Ortsgruppe München kann keine pauschalen Empfehlungen abgeben, weist aber auf Risiken und Chancen einer ID-Verweigerung hin (s. unten).

Dennoch geben wir euch mit: Eine ID-Verweigerung muss gut organisiert sein – die Bezugsgruppe sowie die Strukturen, die zu Aktionen aufrufen, haben in diesem Fall eine besondere Verantwortung.

Das bedeutet:

  • Sprecht im Vorfeld darüber, welche Risiken eine ID-Verweigerung mit sich bringt und entscheidet euch kollektiv dafür oder dagegen.
  • Der Ermittlungsausschuss kümmert sich nicht um die Aufbewahrung eurer Ausweisdokumente. Wenn ihr euch dazu entscheidet in einer Ingewahrsamnahme doch eure Identitäten preiszugeben, muss klar sein, wer eure Ausweise zur Gefangenensammelstelle bringt. Aus Erfahrung wissen wir, dass es nicht reicht persönliche Daten ausschließlich mündlich anzugeben.
  • Besprecht in einem solchen Fall kollektiv, zu welchem Zeitpunkt ihr eure Personalien angeben wollt. Z.B.: Wenn eine Untersuchungshaft angedroht wird?
  • Organisiert gemeinsam, wer informiert werden soll, falls ihr für mehrere Tage in Gewahrsam bleibt und was das für euren Alltag bedeutet (z.B.: Versorgung der Haustiere, Kontaktaufnahme mit der Arbeitsstelle, etc.).

 

Diese Informationen zur Personalienfeststellung und -verweigerung sind eine Ergänzung zu den Infomaterialien verschiedener Antirepressionsstrukturen (Rote Hilfe e.V., Sand im Getriebe, Legal Team für Alle und Ermittlungsausschuss-Gruppen anderer Städte) anlässlich der Proteste gegen die IAA in München. Es soll euch die Möglichkeit geben, kollektiv und vor allem innerhalb eurer Bezugsgruppe gemeinsam über die Angabe oder Verweigerung eurer Personalien zu entscheiden und euch zusammen gut auf Repression und die Folgen vorzubereiten. 

Wir alle sollten Repression als politisches Druckmittel begreifen, dem wir uns gemeinsam entgegenstellen müssen. Wir – das Team des Ermittlungsausschuss (EA) – wollen euch dazu die nötige Unterstützung geben, und sind gleichzeitig auf eure Aufmerksamkeit und Solidarität angewiesen. Wir können auf die meisten Fragen keine allgemeingültigen Antworten geben, denn der Verfolgungsdrang der Repressionsbehörden, z.B. durch Polizei und Staatsanwaltschaft ist meistens nicht vorhersehbar.

Grundsätzlich gilt: Repression ist Willkür. 

Egal wie ihr euch kollektiv für den Umgang mit euren Personalien entscheidet: Bitte denkt immer an eine der wichtigsten Strategien, um Repression solidarisch zu begegnen: Aussageverweigerung gegenüber Polizei und Justiz!

Rechtliche Basis für Personalienfeststellungen

Die Polizei darf eure Identität feststellen, um Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen (→ § 163b der Strafprozessordnung (StPO)) oder um Gefahren präventiv abzuwehren (→ Art. 13 BayPAG).

Du kannst also bei einer Personalienfeststellung erst mal nach der Rechtsgrundlage fragen. Angeben müsstest du laut Gesetz: Vor-, Familien- oder Geburtsnamen, Geburtsort und -tag, Familienstand, allg. Berufsbezeichnung (Schüler*in, Student*in, Angestellte*r), Wohnort und Staatsangehörigkeit. Dafür werden auch eure Ausweispapiere kontrolliert. Wenn du die nicht mit hast, kannst du die Angaben auch mündlich machen. Das kann dann mit dem Einwohnermeldeamt überprüft werden, oder mit vergangenen Aktionen, bei denen du Personalien angegeben hast. Mehr musst du auch nicht angeben. 

Als Ordnungswidrigkeit (Owi) führt die Verweigerung der Angabe der eigenen Personalien zu einem Bußgeld von ca. 150 Euro (maximal 1000 Euro), wenn sie verfolgt werden kann. ( –> §111 OWiG). Es ist keine Straftat (wie beim Falschparken) und gibt es keinen Eintrag im polizeilichen Führungszeugnis.

Auf dem Weg oder innerhalb einer Demonstration darf die Polizei eigentlich keine Personalien nach dem Polizeigesetz feststellen.

Personalienverweigerung – Was darf die Polizei?

Zur Feststellung der Identität darf eine Person (nach Hinweisen zur Identität oder verbotenen Gegenständen) durchsucht werden, in Gewahrsam genommen und auf die Polizeiwache verbracht werden. In Bayern muss die Freiheitsentziehung spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen beendet sein (→ Art. 20 BayPAG) oder ein richterlicher Beschluss über die Verlängerung vorliegen. 

Außerdem darf die Polizei in der Zwischenzeit weitere Maßnahmen zur Feststellung der Identität einleiten: z.B. vollständige Körperkontrollen und Erkennungsdienstliche-Behandlungen (ED-Behandlung: → Art. 14 BayPAG oder § 81b StPO – meist Fotos und Fingerabdrücke, aber auch Messungen oder körperliche Merkmale). Manchmal ist die Polizei dabei gewalttätig.

Risiken und Chancen von Personalienverweigerung

Risiken 

  • Höheres Risiko auf (ohnehin in Bayern oft rechtswidrig übliche) ED-Behandlung durch die Polizei (z.B. Fotos & Fingerabdrücke) deren Daten vermutlich nie wieder gelöscht werden.
  • Höheres Risiko auf einen Bußgeldbescheid (bis zu 1000 Euro) bei späterer Personalienangabe oder -feststellung (z.B. Infos aus Social Media, Fahrzeugkontrollen bei der An- oder Abreise, usw.).
  • Höheres Risiko auf DNA-Entnahme (mit richterlichem Beschluss), inkl. Analyse und möglicherweise unendlicher Speicherung.
  • Höheres Risiko auf Untersuchungshaft und Schnellverfahren (mit richterlichem Beschluss).
  • Zusätzliches Risiko und Zuordnung von Fotos und Fingerabdrücken und mögliche Wiederaufnahme älterer (längst vergessen geglaubter) Verfahren.
  • Höheres Risiko von Beleidigung, Demütigungen oder sogar körperliche Übergriffe durch Polizist*innen.

Chancen

  • Verhindert, wenn es von Vielen gleichzeitig gemacht wird, eine schnelle Abarbeitung durch die Polizei und schafft erheblich mehr Aufwand für die Repressionsorgane
  • Wenn genug Menschen verweigern, steigen für einige Menschen die Chancen, unidentifiziert wieder raus zu kommen
  • Möglichkeit der Solidarität mit Menschen ohne deutschen Pass
  • Solange (!) es noch keine Verbindung von Fingerabdrücken und Fotos zu deinem Namen gibt (z.B. aus früheren Kontrollen) und die Polizei es nicht anderweitig schafft, deine Identität zu ermitteln, haben Konzerne und Strafverfolgungsbehörden weniger Möglichkeiten im Nachhinein (z.B. teure Unterlassungserklärungen)
  • Sollte die Personalienverweigerung der einzige Grund für DNA-Abnahme, U-Haft oder Schnellverfahren sein, ist die Personalienangabe bis kurz vor dem richtlicherlichen Beschluss noch möglich. Als Ordnungswidrigkeit (§ 111 OWiG) führt dies dann zu einem Bußgeld (ca. 150 Euro bis maximal 1000 Euro).
  • Sollten einer Person gleichzeitig Personalienverweigerung (§ 111 OWiG) und eine Straftat vorgeworfen werden, wird die Ordnungswidrigkeit nicht verfolgt, solange das Strafverfahren nicht eingestellt ist.

Der solidarische Umgang mit Repression ist Teil des Widerstands gegen herrschende Verhältnisse. Das geht uns Alle etwas an, denn: Es trifft Einzelne, gemeint sind wir aber alle. Wenn Du mit anderen gemeinsam entschieden hast, nutze den ID-Nummern-Generator für Deine Identitätsnummern auf der Seite von Sand im Getriebe. Wenn Du dich an verschiedenen Aktionen während der Proteste beteiligst, solltest du dir auch immer eine neue Identitätsnummer generieren. Denn auch die Information, an welchen Aktionen sich Menschen beteiligen, können den Cops helfen, die Identität der Leute zu ermitteln.

Wenn Du von der Polizei gefangen genommen wirst: Rufe Umstehenden zu, dass sie dem Ermittlungsausschuss (EA) deinen Persönliche Identifikations (ID-)-Nummer (statt deiner Namen oder irgendwelcher weiteren persönlichen Daten) melden sollen. In Gewahrsam erhältst Du von der Polizei eine zusätzliche polizeiliche Identifikationsnummer als unbekannte Person. Finde sie heraus und setze Dein Recht auf einen erfolgreichen Anruf durch. Ruf den EA an und melde dort beide Nummern: Deine Persönliche ID-Nummer und Deine polizeiliche ID-Nummer! Lass dich vom EA durch das Gespräch führen und lege erst auf, wenn dieser alle nötigen Infos erhalten hat. Bestehe ggf. auf eine anwaltliche Unterstützung durch das Legalteam des Ermittlungsausschusses.

Wir wollen das kollektive Bewusstsein für Solidarität stärken und informiertes, verantwortungsvolles Handeln ermöglichen. Sammelt Spenden und unterstützt die Betroffenen! Solidarität ist unsere Waffe!


Bitte beachte auch unseren BayPag Zettel und unsere Aktions Checkliste.