Redebeitrag der Roten Hilfe / Ortsgruppe München vor dem Knast in Stadelheim an Silvester 2017

Am 31. Dezember fand in München unter dem Motto „Silvester zum Knast“ eine Demonstration mit anschließender Kundgebung am Gefängnis Stadelheim statt, um Solidarität mit den dort inhaftierten politischen Gefangenen auszudrücken. Unseren Redebeitrag könnt ihr nun nachlesen:

„Wir sind heute hier, um am Ende des Jahres ein kraftvolles Zeichen der Solidarität zu setzen. Wir sind hier, um unsere Solidarität mit

Erhan
Sinan
Haydar
Dilay Banu
Musa
Müslüm
Deniz
Sami
Seyit Ali
und Mehmet

zu zeigen, denen hier in München nach Paragraph 129b der Prozess gemacht wird. Wir zeigen unsere Solidarität mit Max, der hier in Stadelheim in Untersuchungshaft sitzt und auf seinen Prozess wartet. Und wir zeigen unsere Solidarität mit allen politischen Gefangenen.

Wir möchten außerdem einen kurzen Blick zurück auf ein turbulentes Jahr 2017 werfen:

Geflüchtete werden auch 2017 Opfer rechter Gewalt. Doch statt sie zu schützen, schiebt der Staat weiter ab.

Unendlichkeitshaft, Widerstandsparagraph und eingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht. Mehrere Gesetzesverschärfungen wurden, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, durch die Parlamente gewunken.

Im NSU Prozess, der voraussichtlich 2018 hier in München zu Ende gehen wird, findet die Dimension des institutionellen Rassismus kaum Platz. Die Verwicklungen staatlicher Behörden und die Beteiligung faschistischer Netzwerke an den Verbrechen des NSU werden ignoriert; stattdessen haben wir wiedermal „Einzeltäter*innen“. Der Prozess wird zu Ende gehen, ohne wirklich Aufklärung oder Erklärungen zu liefern. Einen Schlussstrich zu ziehen ist unmöglich.

Soli-Transparente und Bilder vermeintlich verbotener Fahnen, wie der der YPG, reichen den Gerichten, um fundamentale Grundrechte auszusetzen. Die Folgen sind, dass mehrfach Wohnungen von Genoss*innen von den Cops gerazzt werden.

Mit einem dubiosen Vereinsverbot versucht der Staat im September Indymedia linksunten mundtot zu machen und tritt damit die Pressefreiheit mit Füßen.

Seit 2015 läuft der TKP/ML Prozess, ob er 2018 abgeschlossen wird, bleibt abzuwarten. Bereits seit Beginn steht das Verfahren in der Kritik ein politischer Schauprozess zu sein. Grund dafür ist vor allem, dass den Angeklagten keine konkreten Straftaten vorgeworfen werden. Vorwurf ist einzig und allein, dass sie für eine – in Deutschland nicht verbotene – Organisation Geld gesammelt und Veranstaltungen durchgeführt hätten. Und schon das Zustandekommen dieses Strafverfahrens ist eine politische Entscheidung: denn dazu bedurfte es der Erteilung einer sogenannten Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium!
Die Verteidigung in diesem Verfahren unterliegt gravierenden Einschränkungen: Verteidiger*innen und ihre Mandant*innen sind bei Gesprächen durch eine Glasscheibe getrennt. Außerdem wird sämtliche Verteidigerpost durch einen sogenannten Kontrollrichter gelesen und kontrolliert, das bedeutet die sonst absolut geschützte schriftliche Kommunikation zwischen Verteidigung und Mandanten unterliegt hier einer permanenten inhaltlichen Kontrolle.
Zudem wurde im Herbst des letzten Jahres bekannt, dass unter Verstoß gegen die einschlägigen Rechtsvorschriften Kopien von dieser Verteidigerpost zu Übersetzern in die Türkei versandt worden sind und dass die Verteidigerpost aus dem Zeitraum von über einem Jahr, einem unbestimmbaren Kreis von Übersetzern und weiteren Personen in Deutschland bekannt geworden ist.
Schon alleine durch die lange Dauer der Untersuchungshaft wird der Wille der deutschen Justiz offensichtlich, die gefangenen Genossinnen und Genossen zu verurteilen.

Was uns 2017 und darüber hinaus wohl mit am meisten prägen wird, ist der G20 Gipfel in Hamburg, wo Aktivist*innen aus der ganzen Welt im Juli zusammenkamen und ihren legitimen Protest auf die Straße trugen. Hamburg wurde nicht wie von Innensenator Grote angekündigt zum „Festival der Demokratie“ sondern zum Gipfel der Repression. Seitdem versuchen die Repressionsbehörden mit allen Mitteln den Protest und Widerstand der Julitage zu kriminalisieren: U-Haft für meist ausländische Genoss*innen, harte Urteile im Schnellverfahren, bundesweite Hausdurchsuchungen, Veröffentlichung von Bildern angeblicher Straftäterinnen… Die Liste ist lang und stellt sicherlich einen Höhepunkt der Repression in den letzten Jahren hierzulande dar.
Nicht zuletzt die Rhetorik von Politiker*innen und bürgerlicher Presse lassen nur erahnen, womit wir es 2018 zu tun haben werden.

Wo Rassismus, rechte Gewalt und Repression herrschen, wo Knäste zermürben und den Gefangenen – und uns allen – zeigen sollen, dass der Staat das Sagen hat. Wo alles um uns zu schreien scheint:

Pass Dich an!

Rebellier nicht!

Bleib daheim!

Sei konform….

… da kann es nur eine Antwort geben: Widerstand.

Denn wir lassen uns nicht einschüchtern – weder durch Kameras, Cops und Justiz draußen, noch durch die Repression innerhalb der Knäste! Und das Wichtigste um diesen Widerstand zu organisieren, ist unser Zusammenhalt drinnen wie draußen.
Einzelne von uns mit Prozessen zu überziehen und in Knäste zu stecken, soll uns spalten und vereinzeln und uns alle einschüchtern.

Lassen wir sie dieses Ziel nicht erreichen! Lassen wir nicht zu, dass uns die Angst vor ihrer Repression lähmt! Nur gemeinsam können wir für eine bessere Gesellschaft ohne Knäste kämpfen.

Lasst uns Solidarität organisieren!

Besucht die Gefangenen und schreibt ihnen!

Lasst sie nicht allein!

Wir grüßen alle politischen Gefangenen in Stadelheim und überall und schicken ihnen viel Mut und Kraft und Liebe für ein kämpferisches neues Jahr!

Wir sind nicht alle – es fehlen die Gefangenen!“

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